Klaras Lebenswelten - Kindheitserinnerungen - Meine Tante Anna-Mokka-Milch-Eisbar und Altersheim

In der Mokka - MIlch - Eisbar

Ich mag 10 -12 Jahre gewesen sein. In dieser Zeit, besuchte ich regelmäßig meine Tante Anna. Eine kleine alte Frau, die im katholischen Pflegeheim oben auf dem Berg lebte und regelmäßig in die Mokka-Milch-Eisbar ging.

"Geh du hin, die einzige die sie will und auf die sie hört, bist du", sagte meine Mutter. Also übernahm ich diese Aufgabe.

Das Altersheim, war am anderen Ende der Stadt. Ein klobiger Bau mit schwerer Eingangstür. Wenn ich sie öffnete strömte mir der strenge Weihrauchgeruch entgegen und hüllte mich ein. Ich freute mich, wenn Tante Anna gute Tage hatte, dann lächelte sie und erzählte alte Geschichten.

 Sie erzählte viel und ohne Pause. Von den Geistern, die immer an die Wand klopften. Von der bösen Nachbarin, die immer die Bettdecke klaute. Von der dicken Nachtschwester, die immer schimpfte ... Sie konnte sich über alles und nichts beschweren. Ich war ein Kind. Ich wusste nicht was davon Wahrheit war und was ihrem verwirrten Kopf entsprang. Ich mochte Tante Anna. "Morgen kommst du aber wieder", waren stets ihre Abschiedsworte. Ja, sagte ich, obwohl ich wusste ich würde erst Tage später wiederkommen. 

 

In der Mokka-Milch-Eisbar

Eine Geschichte bringt mich immer wieder zum Lächeln. Sie ist in meiner Erinnerung, als wäre sie gestern erst geschehen. Meine Tante Anna liebte die Mokka-Milch-Eisbar. Sie musste nur vom Altersheim den Berg hinab gehen, die Straße hoch und an der Ecke zur Einkaufsstraße, fand sie die Eisbar. Dort saß sie immer ganz hinten im Raum, an einem Tisch, immer den Platz am Fenster. Das war IHR Platz. Wenn dort andere Leute saßen, rief sie laut durch den Raum "Die sitzt auf MEINEM Platz". Ganz oft räumten die angesprochenen den Tisch und Tante Anna konnte auf ihren Platz. Sie bestellte immer Waffeln mit Eis und Sahne. 

Wenn sie fertig war, bezahlte sie und tapperte wieder zum Altersheim. Tante Anna wurde mit den Jahren, immer verwirrter, so dass es immer häufiger zu Ärger in der Mokka-Milch-Eisbar kam. Sie war dort nicht mehr so gern gesehen.

 

Die isst meine Waffeln

Eines Tages wurde meine Mutter angerufen, sie möchte doch bitte sofort Tante Anna, aus der Mokka-Milch-Eisbar abholen. Sie würde die ganze Eisdiele verrückt machen, ließ sich aber nicht dazu bewegen zu gehen. Ganz klar, ich musste gehen. Wohl war mir nicht dabei. Die Eisdiele war immer voll, also würden viele Leute auf mich und Tante Anna sehen. Gruselig.

Schon als ich die Tür aufmachte, hörte ich Tante Anna schreien "Die frisst meine Waffeln"... Niemand konnte sie anscheinend beruhigen, alle standen um sie herum.

 

Tante Anna saß auf ihrem Fensterplatz und ein junges Pärchen saß mit am Tisch. Auf dem Tisch standen zwei Eisbecher und einmal Waffeln. Vor Tante Anna stand ein Eisbecher. Als sie mich sah, rief sie mich sofort an den Tisch. Ich sollte nun der jungen Frau die Waffeln wegnehmen, damit Tante Anna ihre Waffel bekam. Wie peinlich. Ich hätte in den Boden versinken wollen. Das junge Paar saß fassungslos am Tisch. Wenig später wusste ich warum.

 

Ich bestellte Waffeln und nahm mir selbst den Eisbecher von Tante Anna. Sie war glücklich, dass sie nun ihre Waffeln hatte. Jetzt war Ruhe und Tante Anna zufrieden. Die jungen Leute erzählten mir dann, wie es zu dem Ausbruch gekommen war.

"Die Eisdiele war voll, nur hier war Platz. Wir fragten ob wir uns dazu setzen dürfen. Wir freuten uns, dass die alte Dame uns erzählte, dass sie oft und gern hier war. Wir bestellten für sie und mich ein Eis, meine Frau wollte Waffeln. Als die Bestellung kam, war die alte Dame nicht mehr zu halten. Was haben wir bloß gemacht? Wir wollten ihr doch nur eine Freude machen? Ich konnte die beiden schnell aufklären, obwohl ich nicht geahnt hatte, dass die liebe Tante Anna so ausrasten konnte. Scheinbar war ihre Verwirrtheit doch schon fortgeschritten. So dass sie fest daran glaubte, dass die junge Frau die falsche Bestellung aß. Ich entschuldigte mich bei den Beiden, die lächelnd abwinkten.

 

Ich brachte Tante Anna zum Altersheim zurück. Nein, ich mochte diesen starken Weihrauchgeruch nicht, aber Tante Anna bestand darauf, dass ich sie in ihr Zimmer bringe. Sie war noch immer beseelt, von der Vorstellung, dass ich ihre Waffeln gerettet hatte. Sie erzählte es sogleich jedem den wir, auf dem Weg zum Zimmer, trafen. Der Weg wurde länger und länger. Heute war ich froh, dass ich nach Hause gehen konnte und hoffte, dass das so schnell nicht wieder passierte. Ich täuschte mich.

 

Schön, dass es dich gab.

Es hat sich wiederholt. Tante Anna durfte, bald danach, nur noch in Begleitung in die Mokka-Mich-Eisbar. Allein aus dem Altersheim gehen, durfte sie wenig später auch nicht mehr. Ich war noch ein paar mal mit ihr Waffeln essen. Dann verlieren sie ihre Spuren in meiner Erinnerung. Ich kann mich nicht erinnern, wann sie starb. Auch ihre Beerdigung ist mir nicht in Erinnerung.

In Erinnerung ist nur diese Geschichte, die heute einfach nur lustig ist, wenn die Bilder dazu im Kopf Samba tanzen.

 

Liebe Tante Anna, schön dass es dich gab.