Klaras Lebenswelten-Die Geschichte einer verlassenen Mutter.

Verlassene Mütter sind immer Schuld

Die Geschichte von den verlassenen Müttern, ist meine Geschichte aus der Sicht einer verlassenen Mutter und einer Tochter die ihre Mutter verlassen hat. Zwei Perspektiven, die sich ganz sicher irgendwo treffen. Sie verbinden die Sehnsucht, die Sehnsucht nach dem geliebten Menschen.

Als ich meine Facebook-Selbsthilfegruppe gründete geriet ich mit einer ansonsten taffen, jungen Frau aneinander. Sie hatte den Kontakt zu ihre Mutter abgebrochen. Für sie war ich nicht Opfer, sondern Täterin. Ich war schuldig, denn Kinder verlassen ihre Mütter nicht, wenn es nicht hinreichende Gründe dafür gibt. Sie konnte meine Facebook-SHG, aus diesem Grund, nicht teilen oder unterstützen. 

Es machte mich damals sehr traurig. Klar war mir, ich war nicht nur stigmatisiert weil ich depressiv war, nein ein weiteres Stigma wurde mir einfach übergestülpt. Ich war Schuld, dass mein Kind mich verlassen musste. Ich war eine schlechte Mutter!

Es zeigte mir die ganze Breite meiner Unzulänglichkeiten. Doch warum? Es gibt immer zwei Seiten und noch andere Seiten, die dazu führen, dass Menschen einander verlassen. Ich denke es gibt viele Gründe, warum Kinder ihre Mütter/Eltern verlassen. Nicht immer ist in diesen Beziehungsbrüchen von Opfern und Tätern zu sprechen. Wie sagte meine Therapeutin: "Manchmal passt das Leben einfach nicht zusammen". Nach meinen Erfahrungen wird die Verantwortung für viele unerfüllte Lebenswünsche oder Lebensvorstellungen, an den Müttern festgemacht. Es sind die Mütter die sich SHG suchen für ihre Sehnsucht, ihre Sorgen und Nöte. Es ist gut, dass sie einen Austausch finden, denn sie sind nicht allein.

Ich verließ meine Mutter

In den letzten drei Jahren ihres Lebens, hatte ich keinen Kontakt mehr zu meiner Mutter. Ein letzter Besuch hatte diese Entscheidung gebracht. Zum 101sten mal hatte sie mich verletzt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wieder einmal hatte ich Sachverhalte erfahren, die mir die Sprache verschlugen. In mir wirbelten die Gedanken und die Frage:  Wie kann man bloß so denken und handeln? Wie kann man sein Gewissen erleichtern und keinen Gedanken an die damals 16jährige Tochter verschwenden, die sich vielleicht auch schuldig fühlte? Wie kann man sowas einfach nur totschweigen? ...

Ich konnte, diese absolute Gefühlskälte und das Selbstverständnis ihrer Gedanken und Handlungen nicht mehr ertragen. Ich konnte meine eigenen Erkenntnisse nicht ertragen. Meine Mutter war es, die mit Gefühlen überhaupt nicht umgehen konnte und ihre längst irgendwo begraben hatte. In meiner Krankheit, in meiner Aufarbeitung der traumatischen Vergangenheit, konnte und wollte ich damit nicht mehr konfrontiert werden. Totschweigen war und ist ein absoluter Trigger für mich, der unglaublich viel Kraft frisst. Ich konnte nicht mehr. Mein Herz weinte, weil ich mich so sehnte, nach Mutterliebe, einer Umarmung oder einen lieben Zwinkern ...

 

"Gefühlsduselei ist nichts für mich" höre ich meine Mutter, noch heute, sagen.

 

Inzwischen ist meine Mutter tot.. Es kann keine Antworten mehr geben. Ich hätte ihr auch keine Fragen mehr gestellt. Sie war zu alt um zu begreifen, warum ich die Fragen stellte und andererseits hätten Vorwürfe es auch nicht geändert. Ich bin mir sicher, dass meine Mutter alles getan hat, nach bestem Wissen und Gewissen. Sie hat mich geliebt, auf ihre Art. Inzwischen habe ich zum Thema Kriegsgeneration und vererbtem Trauma gelesen und da finde ich mich gut wieder.

Ich habe ihr im Herzen verziehen, weil ich sie liebe. Trotzdem liebe. Nein sie trägt keine Schuld! Sie hat mir gegeben, was sie konnte. Ich musste gehen, weil ich krank war und überleben wollte. Zurück wollte in mein Leben. Meine Sehnsucht nach ihrer Liebe und Anerkennung ist geblieben. Heute sende ich, mit einer Kerze, ein Licht zu ihr in den Himmel.

Ich bin eine verlassene Mutter

Dieser Teil der Geschichte könnte lang werden, wenn ich sie an dieser Stelle vollständig erzählen wollte. Anderseits wird diese Geschichte niemals vollständig sein, da die Sichtweisen meiner Tochter fehlen. Ich habe zwei Töchter. Meine erste Tochter starb als sie 2 Jahre alt war. Ich war verlassen. Meine zweite Tochter lebt irgendwo, in einer großen Stadt. Ich war verlassen.

Ich bin eine verlassene Mutter.

Unsere Lebenswelten, die meiner Tochter und die meinen, passten nicht mehr zusammen, denke ich. Sie war meine Prinzessin. Sie konnte mich gut lenken und ich akzeptierte so manches Verhalten oder Handeln. Eben Mutter. Doch dann begann ich mein Leben neu zu ordnen. Ein neuer Mann trat in mein Leben und mit ihm noch weitere Kinder und sogar Enkelkinder. Lange Zeit hielt ich meine Meinung und Worte, ihr gegenüber zurück. Sie war doch erwachsen, ging ihre eigenen Wege? Doch es war unvermeidbar, an einer Stelle musste ich mich abgrenzen, denn es war mein Leben. Ich wollte und konnte nicht so leben, wie es sich meine Tochter (24 Jahre) vorstellte. Sie schmiss die Tür, ein letztes mal und brach jeden Kontakt ab.

 

Natürlich fand sie Menschen, die sie darin bestärkten, dass ich eine schlechte Mutter war und der Kontaktabbruch richtig war. Es hätte mich auch gewundert. Sie saugte all die Nachrichten auf, die ihrer negative Meinung bestärkten. Ich war eine schlechte Mutter! Ich war Schuld. Ich hatte ja den Mann geheiratet und 15 Jahre mit ihm gelebt, ohne zu bemerken, was er für ein Mensch war... . Und jetzt hatte ich wieder einen Mann. Diesen hatte ich, entgegen ihren Vorstellungen, heimlich geheiratet. Darüber hinaus stand ich für eine gleichwertige Behandlung aller Kinder ein... . Nein, niemand in der Familie versuchte sie zu bewegen, wieder Kontakt aufzunehmen. Meine Tochter zog in eine andere Stadt, heiratet ganz groß in Familie ... ... ....

Sie lebt ihr Leben. Dafür bin ich dankbar. Ich kann also nicht alles falsch gemacht haben. Sie kommt klar im Leben, auch wenn ihre Sichtweise nur schwarz oder weiß kennt. Ich würde sie so gern in den Arm nehmen, ihr sagen dass ich sie liebe - auch wenn ich mein eigenes Leben lebe und meine eigenen Sichtweisen habe.. 

Lebenswege in der Verantwortung

Mein ganzes Leben war ich Schuld. Ich konnte nichts richtig machen. Ich denke heute genau dieser Gedanke, hat mich viele Fehler machen lassen. Ich wollte mit allen Mitteln alles richtig machen und vor allem meine Kinder gut erziehen und ihnen meine Liebe geben. Meinen Eltern zeigen, dass ich es konnte. Meinen Eltern beweisen, dass meine Entscheidung für beide Kinder richtig war. Ich sehe meine Tochter gerade ungläubig lächeln. Nein, sie würde mir niemals abnehmen, dass ihre Großeltern nicht diese perfekten Menschen waren, zu denen sie sie machte. 

 

Ich gab meinen Kindern mit bestem Wissen und Gewissen, was ich konnte. Ich wollte dass es ihnen gut ging und sie gut durchs Leben kamen. Meine Sorge galt ihnen. Ihre Wünsche waren stets vor den meinen. Mit der Wende veränderte sich das Leben vollständig. Die Sicherheit und die Aussicht in die Zukunft waren verschwunden. Existenzangst stand an 1. Stelle.

Ich verlor meinen Job im Traumberuf und bekam einen Job in einem sozialen Verein. Dieser Job verlangte alles und mehr von mir. Mein eigenes Perfekt-streben kam noch hinzu. Ich tanzte auf allen Hochzeiten mit 130 Prozent. Alles trug ich allein - Familie - Kinder - Haushalt - Schule - Lehre - Job. In einer Region lebend, wo es keine Arbeit gab, hatte ich das Glück einen Vollzeit-Job zu haben. Das er mein Leben fraß, merkte ich zu spät. Immer mehr Arbeit, immer weniger Personal, immer mehr Projekte und eine 60zig Stunden Woche wurde die Regel. Ich gab was ich konnte. Wir mussten ja leben und ich wollte meinen Kindern Wünsche erfüllen. Nein Arbeitslos kam nicht in Frage. Ich agierte Allein, noch immer. Es war niemand da, der mir half oder mir Halt gab. Allein gelassen mit allen Problemen in der Pubertät meiner beiden Kinder, mit all ihren Schulschwierigkeiten... . Irgendwann war dann auch der Mann einfach nur weg. Nach 15 Jahren, ohne ein Wort und ohne Adresse.  Ich hatte einen Job, der nun zum Leben kaum reichte und beide Kinder noch ohne Lehrabschluss. Mich fragte niemand, wie kommst du klar. Alle verlangten und ich - Mutter funktionierte - irgendwie.

 

Ich hatte die Nase voll. Irgendwo musste doch auch ein Platz für mich sein? Ich lernte meinen heutigen Mann kennen und lieben. Mein Leben wurde aber nicht leichter. Im Job war nun Bossing an der Tagesordnung und noch mehr Projekte. Der Mann im Burnout und in der Familie Streit. Das Leben konnte schöner sein. Auf der Suche nach dem Glück und einer möglichst guten Patchwork-Familie traf ich mehrfach Entscheidungen, die meiner Tochter nicht gefielen. Sie konnte nicht verstehen, dass ich auf einmal das Wort NEIN sagen konnte. Sie versuchte mich weiterhin zu lenken und zu verbiegen. Als sie bemerkte, es funktioniert nicht mehr, ging sie. 

Bin ich Schuld? Wer bin ich?

Heute weiß ich viele Dinge. Ich habe mich in vielen Therapiestunden selbst kennen gelernt und Erkenntnisse gesammelt. Ich weiß, auch durch meinen Sohn, dass ich viele Fehler gemacht habe und auch Fehler meiner Eltern wiederholt habe. Ich weiß, dass der Job mir die Sicht auf das Leben, insbesondere auf meine Kinder genommen hatte. Andererseits. Hatte ich eine Wahl? Wer fragte danach, wie es mir im Job erging? 100 andere standen draußen und wollten diesen gern. Niemand. Ich tat was ich tun konnte, um diesen Job zu behalten. Wir wollten ja leben.

 

Ich habe versucht es besser zu machen, mit bestem Wissen und Gewissen. Ich habe meine Kinder nicht misshandelt, missbraucht oder missachtet. Ich habe für sie gekämpft, wenn es nötig war und habe ihnen Wünsche erfüllt, die möglich waren. Ich hatte Verständnis und Akzeptanz für ihre eigenen Lebenswege, ja für jeden ihre Partner. Ich liebe meine Kinder und KEINES hätte ich freiwillig hergegeben!

 

ICH BIN NICHT SCHULD!

 

Ich fühle mich verlassen. Ich bin verlassen.

Ohne Antworten. Ohne Chance auf einen neuen Kontakt. Was habe ich für ein Verbrechen begangen, dass ich so behandelt werde? NEIN! Das habe ich nicht verdient. Ich habe das Recht auf ein eigenes Leben, auf eigene Lebenswege und eine eigene Meinung. Meine Kinder haben immer einen Platz in meinem Herzen. Ich liebe sie, auch wenn meine Tochter mir gerade sehr weh tut. Diese Liebe kann man nicht einfach mal abstellen.  Ich bin ein Mensch wie du und ich, mit all meinen Ecken und Kanten, wie auch meine Tochter Ecken und Kanten hat. Weglaufen ist keine Option. Totschweigen löst keine Probleme, gibt keine Antworten, gibt keine neuen Erkenntnisse und Erfahrungen. Ich wünschte mir so sehr eine Chance, heraus zu finden, ob wir nicht doch wieder zusammenfinden, ohne uns zu verbiegen.

8 Jahre ohne meine Tochter leben. Es ist wie gestorben. Doch ist sie nicht tot. Sie lebt und ihr geht es gut. Hoffe ich.

Was bleibt?

Was bleibt, ist meine Liebe. Meine Liebe zu meiner Tochter. Meine Liebe zu meinem Sohn.

 

Was bleibt, sind die Sehnsucht und der Schmerz. Die Trennung vom geliebten Kind und es wieder in die Arme nehmen zu dürfen.

Was bleibt, ist der Traum. Der Traum, dass es ein Wiedersehen gibt, wir aufeinander zu gehen können, ohne Vorwurf - ohne Hass.

Was bleibt, sind die Fragen. All die offenen Fragen nach dem WARUM.

Was bleibt, ist eine Mutter. Eine Mutter die Fehler machen darf.  Jeder Mensch macht Fehler.

Was bleibt, ist eine Mutter. Eine Mutter die eigene Wege gehen darf.

Was bleibt ist eine Mutter. Eine Mutter die ihr lebendes Kind vermisst!

Was bleibt, ist die Geschichte einer verlassenen Mutter!