Klaras Lebenswege - Trauer hat viele Gesichter - Ich habe mein Kind beerdigt - Was noch zu sagen bleibt .

Trauer hat viele Gesichter

Vorwort

Unter diesem Foto auf der Facebookseite "Trauer.de", fand ich gerade einen Kommentar, der mich erneut triggerte. Es ging darum, dass eine Tochter die ihr Kind beerdigen musste, wenig auf den Friedhof geht... .

Ich spürte die Ohrfeige, die diese Mutter gerade mit ihrer Wertung austeilte. Nein, sie hat es sicher nicht so gemeint und doch ist ihr Kommentar, dass was sehr viele Menschen denken.

 

Ich sage euch, tief in der Seele berührt, TRAUER HAT VIELE GESICHTER:

 

Mein 1. Kind

1983 war ich 22 Jahre alt und beerdigte meine 2jährige Tochter. Zum ersten Mal hatte ich mit dem Tod zu tun. Zum ersten Mal ging ich auf eine Beerdigung. Auf die Beerdigung meines eigenen Kindes. Ich war hochschwanger mit meinem Sohn und beerdigte meine Tochter. Mein 1. Kind!

Ihr Tod war vorhersehbar. Davon erfuhr ich erst nach ihrem Tod.  Ich hatte heimlich das Gesundheitsamt aufgesucht, weil ich genau wissen wollte, warum mein Kind gestorben war. Ob ich es hätte verhindern können? Ob ich Schuld war? Die Ärzte hatten mir die schwere des Herzfehlers verschwiegen. Erst als ich, sehr nachdrücklich, den dort tätigen Amtsarzt fragte, sagte er mir, dass ihr kleines Herz niemals (entsprechend damaligen Wissensstand) hätte operiert werden können. Heute bin ich dankbar, dass ich 14 Monate gemeinsame Zeit mit ihr hatte, bis zu der Nacht in der ihr Herz aufhörte zu schlagen. 

 

Ich glaube nicht, dass es etwas ändert. Ob ich nun gewusst hätte, dass der Tag des Todes kommen würde oder eben nicht. Der Tod eines Kindes kommt immer unverhofft. Der Tod eines Kindes ist immer die Hölle auf Erden.

 

Trauer oder wie ich überlebte

Wenn ein Kind stirbt ist jedes Wort zu viel. Was willst du denn sagen? Welche Worte des Trostes fallen dir ein? Nein, ich brauchte keine Worte. Eine innige Umarmung. Ein leises "ich weiß". Ein stilles enges nebeneinander. Ein leises, "ich bin da". Eine Hand halten, in die Augen schauen, ein Taschentuch für meine Tränen und ja vielleicht auch das wohlwollende Aushalten meines Schreies. Meines schmerzerfüllten Schreiens. 

Der Schmerz über den Verlust war so gigantisch groß, dass ich weder hörte noch sah.

 

Ich fühlte. Ich schrie Gott an, warum er nicht mich geholt hatte. Ich verfluchte Gott.

 

Mein Leben ging weiter, einfach so und niemanden interessierte es,  wie es mir ging. Mein Kind war tot. Punkt. "Du hast meine Tochter umgebracht. Ich mache dir dein Leben zur Hölle", waren die Worte meines Mannes. Mir war es egal. Sollte er mich doch totschlagen, dann wäre es endlich vorbei. Ein Jahr dauerte es noch bis ich aus dieser Hölle ausbrach. In diesem Jahr waren wir oft am Grab unseres Kindes.

Nach der Scheidung ging ich nicht mehr zum Grab. Dafür gab es zwei Gründe. Zum einen wollte ich nicht mehr die Grabbepflanzung oder die Blumen vor meiner Tür finden, die mein Ex-Mann mit den Worten "Gnade dir Gott, wenn ich dich am Grab meiner Tochter erwische, dann bist du tot", dort hinwarf und zum anderen wollte ich nicht mehr an den Ort, wo mein Kind tief unter der Erde lag, von Würmern zerfressen wurde und verweste. Es war für mich eine grauenhafte Vorstellung. Ich wollte das Grab nicht mehr sehen.

 

Es gibt viele Menschen, die das Grab brauchen, für ihre Trauer. Die dort mit ihrem toten Angehörigen sprechen. Ist ein Grab ungepflegt, sind zum Todestag keine Blumen dort oder ist es zum Totensonntag nicht winterfest gemacht... , wird dies gleich gesetzt damit, dass die Angehörigen ihren Toten vergessen haben, nicht um sie trauern.

Für mich hängt Trauer nicht vom Besuch am Grab und Grabpflege ab. Trauer und Erinnerung ist ein Gefühl.

 

Kann man ein Kind oder einen geliebten Angehörigen vergessen? Ich glaube nicht. Ich glaube, es braucht kein Grab, um zu trauern oder zu gedenken, sich zu erinnern. Trauer kommt aus tiefster Seele. Erinnerungen kommen aus dem Herzen. Sie verbinden sich zu Gefühlen. Sie lassen mich weinen und lachen. Die Psyche findet einen Weg, der mir hilft zu überleben. Es kann durchaus sein, dass keine Gefühle mehr wahrgenommen werden und der Tod ausgeblendet wird. Die Gefühle werden versteckt, um mit der grausamen Realität leben zu können, um für andere Kinder da sein können.

 

Ich wollte überleben.

 

Trauer, die nicht sein durfte

Über den Tod meines Kindes sprach ich nicht. Ich konnte es nicht. Es war auch niemand da, der mir zuhörte, der wissen wollte wie es mir ging und was ich fühlte. Mein Kind war tot. Das Enkelkind war tot.

 

Das Leben ging weiter.

 

Mein Sternenkind war tief in meinem Herzen geborgen, verborgen. Ich überlebte, weil ich daran glaubte, dass mein Kind jetzt im Himmel wohnte, ein Engel war. Ihr geht es da oben besser, deshalb hat Gott sie zu sich geholt. Sie musste nicht leiden oder lange im Krankenhaus liegen. Gott hatte dafür gesorgt, dass ihr Herz einfach aufhörte zu schlagen. Sie war nun mein Schutzengel. Sie saß auf einem Stern und schaute zu mir herunter. Manchmal unterhielten wir uns. Ich war nie wieder am Grab meiner Tochter, aber mein Kind war immer bei mir. Es ist noch immer unvergessen und geliebt in meinem Herzen.

 

Ich konnte mir die Fotos von meiner Tochter viele Jahre nicht ansehen.  Viele Jahre konnte ich auf keinen Friedhof gehen. Es war unmöglich. Meine Großeltern starben und ich musste auf die Beerdigungen gehen. Meine Eltern und die Verwandten erwarteten es und ich tat es. Es war die Hölle. Ich erlebte nicht die Beerdigung meiner Großeltern, sondern von neuem, die Beerdigung meiner Tochter. Live und in Farbe.

 

In vielen Nächten kamen die Träume. Träume, die ich nicht wollte. Immer nur dieser eine Film. Der Film von der Nacht in der sie, in meinen Armen, starb. Immer nur ihr Weinen, welches mich weckte. Immer nur, wie sie im Bettchen stand, die Hände am Gitter. Immer nur ihr weinendes Gesicht. Immer nur das Bild, wie sie umfiel. Immer nur dieser eine letzte schreckliche Atemzug, in meinen Armen. Immer nur dieses Gefühl, als sie sich entleerte und ihr Urin mir den Körper herab lief. Immer nur dieser Arzt, der sagte, dass er nichts mehr tun konnte. Immer nur ihr Gesicht, die geschlossenen Augen, wie schlafend im Bettchen lag. Sie schlief nicht, sie war tot. Es war ein Horrorfilm in Bild und Ton. Ich sah das Kinderzimmer, die Tapete, fühlte die Kälte, hörte mich schreien, sah das diffuse Licht des Kinos gegenüber, selbst der Geruch war da.  Diese Hölle blieb, in der Wiederholungsschleife, über 30 Jahre lang.

 

Niemand merkte mir an, wie schwer es war, mit diesen Erinnerungen zu leben. Ich packte sie weg. Ich schob einen Stahldeckel darüber, der mich schützte. Natürlich schaffte ich es nicht, sie ganz auszublenden. All die Jahre meines Lebens, bis ich 2011 psychisch zusammenbrach, bis hin zur Traumatherapie - IRRT im Jahr 2018/19, brauchte ich keinen Kalender um zu wissen, dass ihr Geburtstag oder ihr Todestag nahte. Meine Seele zeigte es mir deutlich. Ich hasste diesen Film.

Erst nach dem IRRT fand ich zu den guten Erinnerungen, die mir jetzt ein Lächeln zaubern. Seit her pflege ich ein Ritual, an diesen Tagen. 

 

Was ist Trauer und wie trauert man?

Mein Leben lief weiter, als wäre nichts geschehen. Ich lebte und 1985 bekam ich noch eine Tochter. Ich hatte keine Zeit zum trauern. Was war Trauer?

Ich saß manchmal nachts am Fenster, schaute in den Sternenhimmel und redetet mit meinem Engel. In Kirchen war ich ihr immer nah. Dort zündete ich eine Kerze an und sprach mit ihr. Sprach mit Gott und machte ihm viele Jahr Vorwürfe. Kirchen zogen mich magisch an, ich war gern dort. Es war immer so ein vertrautes Gefühl, welches ich erst heute verstehe. Ich glaube ein Kind welches stirbt, kann niemand vergessen. Auch wenn noch andere Kinder da sind oder geboren werden. Meine Kinder halfen mir zu leben, wieder zu lachen. Ich fragte mich oft, wie denn jetzt meine Tochter aussehen würde, wie sich sich entwickelt hätte. Bis heute!

 

In der Klosterkirche Neuzelle, viele Jahre später, fand ich dann in Maria mit dem Kind, meine Seelenverwandte. Sie stand da, mit Jesus auf dem Arm und war so wunderschön, so stolz und doch konnte ich in ihren Augen die Trauer sehen. Auch sie hatte ihr erstes Kind hergeben. Zu ihren Füßen saß ich oft und sprach mit ihr über mein Leid, über unser gemeinsames Leid. Jesus auf ihrem Arm, war mein Sinnbild dafür, dass mein Kind jetzt von Maria gut betreut wurde. Erst da wurde mein Leid etwas erträglicher.

 

Heute ist die katholische Hofkirche in Dresden genau so ein Ort. Auch dort ist eine Maria mit dem Kind, umrahmt von Engeln mit Musikinstrumenten. Wunderschön anzusehen. Ich sitze sehr oft dort, zu Füßen der Maria, zünde eine Kerze an und wir sprechen miteinander.

Als ich in der Traumaklinik mein IRRT machte, gab es danach nur einen Weg für mich. Den Weg zur katholischen Hofkirche. Dort saß ich fast eine Stunde allein, in der riesigen Kirche, bei Maria. Ich weinte. Mir liefen die Tränen, endlich. Ich hatte schon viele Jahre keine Tränen mehr. An diesem Tag brachen sie heraus. Ein wunderbares Gefühl. Ich weinte um mein Kind. Ich weinte um mich selbst. Gott und mein Kind waren ganz nah bei mir. Als ich die Kirche verlassen wollte, begann eine helle Frauenstimme zu singen. Die Kirche war völlig leer. Niemand außer mir war da. Wie gebannt blieb ich sitzen und lauschte dem Gesang. Es war, als würde ein Engel singen, zu meinen Tränen.

 

Mein Ort der Trauer war die Kirche. Mein Ort für Trauer war die Nacht, mit ihren Sternen. Ich habe mein Kind nicht vergessen. Heute lerne ich zu trauern, meine Gefühle nicht mehr zu verstecken. Bis heute liebe ich mein Sternenkind.

 

Mein Ritual der Trauer 

In der Traumatherapie lernte ich mit dem Tod meiner Tochter anders um zu gehen. Diesen furchtbaren Tagen den Schrecken zu nehmen. Meine Traumatherapeutin riet mir, an diesen Tages etwas zu tun, was mir Spaß macht, was mir gut tut und dabei in Gedanken meine Tochter mit zu nehmen. Seit 4 Jahren nun, gehe ich am Geburtstag und am Todestag meiner Tochter, in die Kirche. Wie schon viele Jahre, zünde ich eine Kerze für sie an und unterhalte mich mit ihr. Danach gehen wir gemeinsam einen Kaffee trinken. Ich setze mich, in der Münzgasse, in ein Restaurant. Ich bestelle Kaffee und Kuchen. Da es die Monate November und Februar sind, sitze ich meistens allein draußen. Ich sitze da, schaue die Gasse hinunter, genieße Kaffee und Kuchen. In Gedanken spreche ich mit meiner Tochter, erzähle ihr was es Neues gibt und sage ihr, dass ich sie nicht vergessen habe und sie von ganzem Herzen liebe. Ganz bewusst rufe ich mir Erinnerungen hervor, aus den guten gemeinsamen Tagen. Auch wenn es Tage der Trauer sind, sind es nun Tage mit einem gutem Gefühl. Es tut mir gut.

 

Heute

Heute bin ich Gott dankbar, dass es so gekommen ist. Das mein Kind ohne zu leiden sterben durfte. Das ist noch lebe und glücklich bin.

Ich bin dankbar, dass ich mein Trauerritual gefunden habe und langsam lerne, meine Trauer zu zu lassen. Es ist noch nicht alles wo es sein könnte, es gibt noch viele Trigger, aber ich kann inzwischen viel besser leben, mit dem Tod meines Kindes. In Liebe zu meinem Sternenkind.

 

Es braucht kein Grab für die Trauer.

Ich habe nichts vergessen, auch wenn ich nicht an das Grab meines Kindes gehe. 

 

 

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