Klaras Lebenswege - Trigger-Erinnerungen an die Beerdigung meiner Tochter

Ein Loch und weiße Rosen

Vorwort

Dieses Foto hat mich getriggert. Eine sorgsam verschlossene Kiste wurde geöffnet. Der Deckel floppte herunter und ließ die alten Erinnerungen heraus quellen. 

Unvorbereitet.

DANKE Trauer.de, dass ich das Foto für meinen Blog verwenden darf.

 

Am 24.02.1983 starb meine Tochter. Sie war gerade 2 Jahre alt. Ihr kleines krankes Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen.

Ich kann mich nicht mehr an den Tag (Datum) der Beerdigung erinnern. Was an dem Tag passierte und was ich fühlte, ist noch da. Beerdigungen habe ich vermieden, denn sie sind mein Trigger schlecht hin. Nur die Beerdigungen meiner Großeltern konnte ich nicht meiden. Diese habe ich kaum in Erinnerung. Was von ihnen blieb, sind nur die Erinnerungen daran, dass ich meinen eigenen Film hatte. Alle Bilder der Beerdigung meiner Tochter überrannten mich. Ich sah nicht den Sarg meiner Oma, des Opas. Ich sah den Sarg meiner Tochter. Mein eigener Film machte mir meine Anwesenheit zur Hölle.

Meine Erinnerungen beginnen damit, dass meine Eltern und Schwiegereltern zu uns kamen. Ich hatte geschlafen, lag im Bett. Als ich meine Eltern sah, liefen die Tränen. Worte hatte ich nicht. Mein Mutter kam zu mir und nahm mich in den Arm. Nein, sie sagte kein Wort. Sie nahm mich in den Arm, dass reichte völlig aus. Jedes Wort wäre eines zu viel gewesen und was soll ein Mutter ihrem Kind sagen, die ihr Kind verloren hat. Dafür gibt es keine Worte. Meine Schwiegereltern benahmen -, als ginge es zu einer Familienfeier. Kein Gedanke daran, dass sie mit ihrem Verhalten störten, kein Gedanke für mich. Dabei mussten sie es besser wissen. Meine Schwiegereltern hatten auch ihre Tochter begraben, als sie im Alter meiner Tochter war. Meine Tochter trug als zweiten Namen, den ihrer toten Tochter. 

 

Irgendwann dann sagte meine Schwiegermutter: "Steh endlich auf. Stell dich nicht so an. Das Leben geht weiter". Noch heute höre ich ihre schrille Stimme und diese Worte. Ihre Worte waren für mich genau so, wie die Schläge, die ich öfter von ihrem Sohn, erhielt. Wie konnte diese Person so etwas sagen? Ich schrie "mein Kind ist tot!!!". Meine ganze Verzweiflung brach aus mir heraus und nahm mir die Luft. 

 

Auf dem Friedhof

Meine Erinnerungen sagen mir nicht wie ich auf den Friedhof gekommen bin. Sie setzen erst ein als wir vor der "Leichenhalle" standen und warteten. Wir standen dort mit noch zwei anderen Trauergemeinschaften. Nein, wir durften unser Kind nicht noch einmal sehen. Das war gut so, denke ich.

Irgendwann kamen zwei Friedhofsarbeiter stellten einen Sarg auf ihren Wagen und gingen los. Niemand der Anwesenden wußte zu wem der Sarg gehörte. Unser Sarg unterschied sich nicht von einem Erwachsenen-Sarg. Wir mussten diesen nehmen, weil unsere Tochter für eine Kindersarg schon zu groß war. Er hatte dem entsprechend auch keine weiße Farbe. Nach dem also die Friedhofsarbeiter schon ein Stück gelaufen waren, riefen die Männer "warten sie, zu wem gehört denn der Sarg?". Es war der Sarg meiner Tochter und wir hasteten hinter her.

 

Ich weiß nicht ob der Weg weit war, bis zum Grab meiner Tochter. Der Trauerredner sprach, ich konnte ihn nicht verstehen. Er hörte nicht auf zu reden und ich wusste nicht wo der Sarg geblieben war. Er war nicht da. Mein Mann, meine Eltern, die Schwiegereltern standen da, aber wo zur Hölle war der Sarg. Warum hörte dieser Mensch nicht auf zu reden?

Niemand stand bei mir. Ich sah auf die Rücken meiner Angehörigen. Niemandem wurde bewusst, dass ich gar nicht am Grab bei ihnen stand.

Niemand hielt meine Hand. Niemand nahm mich in den Arm. Und dieser Mensch redete immer noch.

 

Später hörte ich meinen Namen. Dieser Mensch hatte aufgehört zu reden und mein Blick war frei in Richtung Grab. Langsam ging ich zum Grab. Die Friedhofarbeiter legten schon, mit großem Schwung, die Kränze auf das Nachbargrab und nahmen die Holzbalken, auf denen sie gelegen hatten, zur Seite. Ich schrie sie an "weg hier! wo ist der Sarg?". Ich konnte es nicht fassen, dass diese Männer ihre schwarzen Mäntel abgelegt hatten und in Arbeitsanzügen da stand und die Kränze rumwarfen. "Haut ab!"

 

Dann schaute ich in das Loch.

 

Ich schrie und weinte und schrie. Ich stand da. Allein. Ganz allein. Hoch schwanger. Ich wollte nicht mehr leben.

 

Ich konnte nichts sehen. Ich konnte den Sarg nicht sehen. Ich sah nur die weißen Rosen. Wieder hörte ich meinen Namen. Ich warf meine weiße Rose in das Loch. Mit einem Ruck drehte ich mich um und ging zu den anderen. Nein, sie warteten nicht auf mich, sie gingen nun weiter. Noch einmal drehte ich mich um. Langsam begann ich zu begreifen, dass der Sarg meiner Tochter, nicht auf die Hölzer gestellt worden war, sondern sofort in das Grab hinab gelassen worden war. Die Friedhofsarbeiter schippten die Erde in das Loch. Das Grab wurde geschlossen.

 

Wieder hörte ich meine Namen. Ich drehte mich wieder um und ging zu den anderen.

 

Das Trauer-Mahl

Wir hatten einen Tisch zum Essen bestellt, im teuersten Restaurant der Stadt. Wir bekamen einen Tisch zugewiesen, der etwas Abseits stand, wie es erbeten hatte. Ich weiß heute nicht mehr wie lange wir dort waren, was es zu Essen gab. Ich kann mich noch gut an die entsetzten Augen und die Worte der Kellnerin erinnern. Voraus gegangen war eine Unterhaltung meiner Schwiegereltern und meiner Eltern. Nein, ich kann mich nicht an die vollständige Unterhaltung erinnern. Es ging um Standesunterschiede (meine Schwiegervater war Offizier und natürlich etwas Besseres ...), um die Beerdigung und darum, dass ich ja selbst Schuld war, weil ich einen Krüppel geboren hatte. Dann schallte die laute Stimme der Kellnerin in meine Gedanken "ich möchte sie bitten sich nicht so laut und mit Respekt zu unterhalten, ich glaube hier handelt es sich um ein Beerdigungs-Essen und nicht um einen Jahrmarkt", wies sie mit dem Finger auf mich. 

 

Um mich herum war Totenstille! Ich glaube man hätte eine Stecknadel fallen gehört. Mir war glaube ich, alles egal. Ich wollte weg. Ich wollte nicht mehr leben. Mein Leben war gerade beerdigt worden.

 

Damit sind meine Erinnerungen beendet. Ich weiß nicht wann die Eltern wieder gefahren sind und ob wir noch irgendwas gemacht haben.

Ich habe dieser Person (Schwiegermutter) ihre Worte niemals verziehen. Ich kann ihnen nicht vergeben. Ich beerdigte mein Kind und war furchtbar allein, einsam, verlassen, ... an diesem Tag. Es schien mir, als sei es nichts besonderes und schon gar nicht einer Träne oder einer Umarmung für mich wert, dass ich mein Kind zu Grabe getragen hatte.

 

Das Leben ging weiter. 

 

Wenig später unternahm ich einen Suizidversuch.

Ich überlebte, weil ich wohl zur falschen Zeit auf den Gleisen lief, kein Zug kam und ich mich irgendwann an meinen Sohn erinnerte. Ich wollte meinen ungeborenen Sohn nicht töten.

Zwei Monate später wurde mein Sohn geboren und ein Jahr darauf reichte ich endlich die Scheidung ein.

 

Ich habe überlebt.

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Kommentare: 1
  • #1

    Ina (Freitag, 29 Januar 2021 23:10)

    Liebe Klara, fühl Dich fest gedrückt. Alle Worte zwischen diesen Buchstaben würden nicht reichen, um zu trösten. Vielleicht diese feste gedankliche Umarmung jedoch.
    Liebe Grüße Ina